Web3: Großer Hype und nichts dahinter?
Posted by Julia Werner •
Web3: Das neue Internet soll dezentral werden
Nach dem World Wide Web der 1990er Jahre und dem Web 2.0 mit dynamischen Inhalten kommt jetzt die nächste Generation auf uns zu - mit radikal geänderten Spielregeln und Geschäftsmodellen. Ihr vorläufiger Name lautet schlicht Web3.
Wenn jemand das Copyright auf den Begriff "Web3" beanspruchen darf, dann ist es vermutlich Gavin Wood, Mitbegründer der Kryptowährung Etherum und Gründer der DeFi-Plattform Polkadot. Etherum basiert - wie die meisten anderen Cyber-Währungen - auf einer Blockchain, einem dezentral verteilten Netzwerk, mit dem Ether-Transaktionen protokolliert und verifiziert werden.
Und Polkadot ist eine Plattform, die verschiedenste Blockchains miteinander vernetzt. Das Kürzel DeFi steht für "Decentralized Finance". Diese Erklärung mag einen Eindruck davon vermitteln, welche Idee von der Zukunft des Internets Wood hatte, als er 2014 in einem Artikel für das US-Magazin "Wired“ erstmals den Ausdruck "Web3" verwendete.
Seitdem geisterte der Begriff immer wieder durch die Szene, in aller Regel als eine ganz ferne Zukunftsvision. Doch der Schein trügt: An Web3 wird überall auf der Welt bereits emsig gearbeitet.
1e9: Web3 - der Traum vom Krypto-Netz der Zukunft
"Web3" soll das Internet heißen, in dem Facebook & Co. nichts mehr zu sagen haben. Das Problem ist nur, dass das Ganze auf einer Blockchain laufen soll.
Von Jannis Brühl
Das erste Internet knarzte laut durchs Modem und sah ziemlich hässlich aus. Dafür bot es in den Neunzigern ungeahnte Freiheiten, es gehörte irgendwie niemandem, und niemand erhob Anspruch darauf. Nach diesem Wilden Westen verschob sich im neuen Jahrtausend im "Web 2.0" - dem Zeitalter der sozialen Netzwerke - die Macht hin zu Konzernen. Sie zentralisierten das Netz, getrieben von Bergen an Wagniskapital, mit denen die Großen auch die idealistischsten Programmierer und besten Start-up-Ideen wegkauften. Google, Facebook, Instagram entwickelten Überwachungssysteme, die die Welt noch nicht gesehen hat. Sie häuften Datensilos an über das Leben der Nutzer an.
Jetzt steht das Internet vor seiner dritten Inkarnation, und mit der soll wieder alles radikal anders werden. Das glauben zumindest die Verfechter des Web3. Das neue Buzzword wird meist kleingeschrieben wie ein ironisch hingerotzter Kommentar auf Twitter. Die Idee: die Blockchain-Technologie, auf der schon die Kryptowährung Bitcoin basiert, soll das gesamte Internet durchziehen und Konzernen und Profi-Investoren die Macht entreißen. "Dezentralisierung" ist das Zauberwort: Ziel ist ein Internet mit vielen kleinen, von Nutzern selbstverwalteten Einheiten, an denen jeder Anteile - Tokens - halten kann. Jeder soll sich an der Zukunft seine Anteile kaufen können, mit Besitzrechten, die auf der Blockchain, also einem dezentralisierten, unveränderbaren Verzeichnis, digital eingraviert sind. Böse ist hier, was nach Zentralisierung riecht: Tech-Konzerne, Behörden, Banken.
Wie die Idee vom Web3 eine ganze Szene beflügelt, lässt sich auf der Digitalkonferenz 1e9 im Deutschen Museum beobachten, die dem Thema vergangene Woche einen Tag gewidmet hat. Auf den Podium herrscht gutgelaunte Revolutionsstimmung. Alexander Lange, früher bei Google und jetzt Krypto-Investor, schwärmt von offenen, transparenten Systemen, in denen jeder Besitzrechte hält statt nur die Konzerne, die sagen, wie das Web aussehen soll. Auf dem Bildschirm hinter ihm leuchtet Disneyland als Negativbeispiel für eine von einem Konzern entworfene, geschlossene Welt. Daneben Manhattans Straßenschluchten, kaum geplant, dafür gewachsen und aufregend: Wie Manhattan soll das neue Web sein.
Die wunderbare Welt des Metaversums
Yingzi Yuan, beim Spiele-Studio Ubisoft für neue Technologien zuständig, sagt: "Wir können mehr Menschen aus dem Web 2.0 ins Web3 bringen und zusammen die wunderbare Welt des Metaversums bauen." Metaversum ist das Schlagwort, unter dem sich Facebook, Microsoft und die Gaming-Industrie eine Art omnipräsente virtuelle Welt vorstellen, in denen man per Virtual-Reality-Brille eintaucht und in der sich digitale Gegenstände kaufen lassen wie in einem riesigen, virtuellen Einkaufszentrum. Yuan und Lange träumen von Avataren, virtuellen Abbildern ihrer Besitzer im Internet. Nur diese können mit dem richtigen Passcode über ihr virtuelles Abbild verfügen. So soll das Netz nicht mehr aus Fake-Personen und Kopien von Kopien bestehen. Identität und Besitz sollen sich wie mit einem Eintrag beim Amt in der realen Welt nachweisen lassen.
Christoph Jentzsch erklärt, wie das konkret gehen soll. Er promovierte in theoretischer Physik, ehe er zu jenem Team stieß, das Ethereum konstruierte - die Blockchain, auf der das Web3 vor allem laufen soll. Jentzsch sagt: "Wer bei Uber Auto fährt und eine 5-Sterne-Bewertung angehäuft hat und danach zum Konkurrenten Lyft geht, der fängt dort wieder bei Null an. Im Web3 kann ich das mitnehmen. Im Web 2 gab es nur Daten-Silos." Dafür müssten allerdings erst einmal ernstzunehmende Alternativen zu Uber auf Blockchain-Basis entstehen. Die Nutzeroberflächen sind für Laien noch notorisch unpraktisch. Ähnlich war es bei jener Konferenzteilnehmerin, die ihr Online-Spiel vorstellte, eine Art Blockchain-Schnitzeljagd mit digitalen Gegenständen. Sie musste zugeben, dass sie für neue Mitspieler auf Twitter angewiesen ist - eine jener zentralen Strukturen, die im Web3 eigentlich überflüssig sein sollen.
Milliarden Dollar fließen in Krypto-Projekte
Trotz aller Skepsis unter IT-Fachleuten hat die Subkultur der Krypto-Prediger in diesem Jahr den Mainstream erreicht. Risikokapitalgeber pumpen Milliarden Dollar in Krypto-Firmen, die das Web3 versprechen. Adidas verkündete soeben, man kooperiere mit Coinbase, der großen Online-Börse für Kryptowährungen. Vergangene Woche wurde ein Stück virtuelles Land für 2,4 Millionen Dollar verkauft. Genau: Land, das nur im Internet existiert. Modemarken sollen dort Klamotten wie auf einem virtuellen Laufsteg ausstellen. Unklar bleibt wie bei vielen Krypto-Geschäftsmodellen, was das von einer normalen Website mit digitalen Model-Figuren unterscheiden soll.
Es wirkt wie eine Satire auf den Immobilienboom, doch das Konzept der digitalen Anlageobjekte wird nachvollziehbarer, wenn sich auch ältere Menschen vergegenwärtigen: Mehr als eine Generation von Jugendlichen ist mit dem Konzept digitaler Gegenstände aufgewachsen. In vielen Computerspielen ist es Normalität, virtuelle Klamotten oder Waffen zu kaufen, allen voran im Welterfolg "Fortnite". Wer allerdings einwendet, dass das Konzept "Besitz" im Netz wenig Sinn ergibt, weil man ja auch einfach mit einem Rechtsklick jedes Bild kopieren kann, dem wird in der Szene abfällig "Rechtsklicker-Mentalität" vorgeworfen - ein poetischer Höhepunkt dieser ganzen Schlagwort-Orgie.
Auffällig ist, wie politische und finanzielle Motive verschmelzen. Alexander Lange spricht von "Demokratisierung des Zugangs zu Assets": Jeder, nicht nur Profi-Investoren mit besten Beziehungen, soll binnen Sekunden Anteile an praktisch allem kaufen können. Vom Start-up, dessen App-Idee er unterstützen will, bis zum NFT - jenen Besitzrechten an digitalen Kunstwerken, die in diesem Jahr für Millionensummen verkauft wurden. Es ist das "Volksaktien"-Versprechen der Telekom auf Steroiden - und natürlich auf der Blockchain.
Das Problem Blockchain
Bei der Blockchain liegt auch eines der Grundprobleme des Web3. Unter anderem der Hackerverein Chaos Computer Club argumentiert: Die Blockchain sei eine passende Lösung, um digitales Geld zu schaffen wie den Bitcoin. Doch davon abgesehen gebe es schlicht keine Probleme, die sich mit Blockchain besser lösen ließen als ohne. Noch weiter geht Stephen Diehl. Der britische Programmierer und Blogger argumentiert, Krypto-Assets seien genauso wertlos wie jene "Besitzurkunden" für einzelne Sterne im All, die clevere Unternehmer in den Neunzigern verkauften.
Mehrere Konferenzteilnehmer geben auch zu: Scams - also Betrügereien - sind ein Problem im Krypto-System. Der digitale Goldrausch zieht Abzocker an, die Geld einsammeln und dann verschwinden. Schließlich handelt es sich bei vielen "Token" praktisch um unregulierte Wertpapiere. Christoph Jentzsch sagt: "Man kann technisch nichts dagegen tun. Sehr viele NFT-Projekte sind ja auch einfach nur Scams. Es gibt eben keine zentrale technische Institution, die das regulieren könnte. Aber die Freiheit, so schnell neues hochziehen zu können, ist es wert." Kleinanlegerschutz gebe es keinen. Das ist der libertäre Geist hinter "Krypto": kein Staat, keine Institutionen - und keine Hilfe, wenn es schiefgeht. In Gesprächen am Rande der Konferenz wird die Europäische Zentralbank scharf kritisiert und ein Finanzcrash vorhergesagt.
Der Schöpfer des Weltcomputers wirkt immerhin, als würde er sich ein bisschen schämen. Vitalik Buterin ist auf der Konferenz zugeschaltet, er trägt ein schwarzes T-Shirt, zu dem seine Augenringe farblich passen. So sehen Menschen aus, die mit Freude die ganze Nacht programmieren. Er distanziert sich von den Betrügereien. "Diese get-rich-quick-Mentalität, die da hochgekommen ist", passe gar nicht zu seinem Projekt Ethereum. Der schmächtige Mann ist eine Art messianische Figur in der Kryptowelt. Er gilt als Computergenie und hat mit 19 Jahren die Bitcoin-Idee weiterentwickelt, mit Jentzsch und anderen das dezentrale Ethereum-System gebaut. Ethereums Spitzname: Weltcomputer - da sich damit alle möglichen Anwendungen programmieren lassen, während Bitcoin ausschließlich als digitales Geld - beziehungsweise Spekulationsobjekt - funktioniert.
Blockchain: "Das Transparenteste, was es gibt"
Buterin hakt die Scammer zügig ab, er spricht so schnell wie er denkt, und das ist sehr schnell. Er träumt von "Crypto-Cities", in denen Bürger über ihre Anteile auf der Blockchain quasi mitregieren. Die ersten "City Token" gibt es schon in Miami, wo die Stadt mit ihrem Verkauf Millionen Dollar eingenommen hat.
Mit dem Verzicht auf Regulierung und zentrale Institutionen geht also auch eine Demokratisierung der Betrugsmöglichkeiten einher. Dennoch bleibt Alexander Lange dabei: Die Blockchain sei das Transparenteste, was es gibt, ein "Quantensprung ausgehend von den unsicheren und stark korrumpierten Finanzinfrastrukturen der Gegenwart. Das beweisen Geldwäsche-Fälle, die System haben, wie etwa bei HSBC oder Deutscher Bank." Das erklärt vielleicht am ehesten die Anziehungskraft, die das Web3 auf viele Menschen ausübt: Das System der Banken und Tech-Konzerne, das die Revolutionäre angreifen, lässt sich manchmal einfach nicht verteidigen.
Web3: Großer Hype und nichts dahinter?
Von Richard Waters
Financial Times
Übersetzung: Laura Markus
Wenn die Tech-Bewegung, die als Web3 bezeichnet wird, die nächste Goldgrube des Internets sein soll, warum hört man dann nicht mehr über die Plattform und ihre nützlichen Anwendungen? Und warum stürzen sich nicht mehr Entwickler darauf, um das große Geld zu machen?
Diese Fragen stehen unangenehm im Raum, denn Kryptowährungen – die angeblich die Grundlage für die neuen Web3-Anwendungen bilden sollen – boomen weiterhin. Seit November ist etwa eine Billion Dollar aus der Krypto-Blase geflossen, doch es sind immer noch zwei Billionen Dollar übrig. Wofür werden diese digitalen Vermögenswerte am Ende verwendet, dass so eine hohe Summe nötig ist?
Web3 basiert auf der Überzeugung, dass eine blockchainbasierte Technologieplattform eine neue Art von Anwendungen schaffen wird. In einer sogenannten „vertrauenslosen“ Online-Welt werden digitale Token alle möglichen Interaktionen vermitteln. Niemand wird mehr die Regeln vorgeben oder den Großteil des Gewinns für sich beanspruchen. Die Nutzer werden die Kontrolle haben.
Bislang ist es jedoch schwierig, eine allgemeine Verwendung für diese Technologie zu finden. Die wichtigsten Anwendungen – Non-Fungible Token (NFTs) und dezentralisiertes Finanzwesen (DeFi) – basieren fast ausschließlich auf Finanzspekulation und Regulierungsarbitrage. Wenn die Spekulanten baden gehen und die Aufsichtsbehörden sich entscheiden, die Gesetzeslücken zu schließen, was wird dann noch übrig sein?
Foto: Shutterstock
Im Silicon Valley gibt es eine alte Binsenweisheit: Wer wissen will, wo die nächsten großen Ideen entstehen, muss dort suchen, wo das Kapital und die klugen Entwickler sind. Bei Web3 hat es sicherlich nicht an Kapital gefehlt. Aber nur wenige Entwickler haben sich entschlossen, auf diesen speziellen Zug aufzuspringen.
Laut einer aktuellen Studie von Electric Capital haben Ende letzten Jahres rund 18.000 Entwickler aktiv in der Kryptowelt gearbeitet. Das klingt vielleicht nach viel. Aber wie Tomasz Tunguz, Risikokapitalgeber bei Redpoint, betont, ist das nichts im Vergleich zu den 16,4 Millionen Entwicklern, die mit JavaScript arbeiten, der wichtigsten Programmiersprache für die heutige Generation von Web-Anwendungen. Selbst 18.000 ist wahrscheinlich übertrieben: Die Zahl der Personen, die mindestens zehn Tage im Monat an Web3 arbeiten, liegt unter 5.000.
Das liegt unter anderem daran, dass zu wenige Entwickler die neuen Sprachen beherrschen, die man für die Entwicklung dezentraler Anwendungen braucht. Laut Tunguz bremst dies das Wachstum von Web3-Unternehmen. Allerdings könnte sich das bessern, wenn mehr Tools entwickelt werden, die den Ingenieuren in diesem Bereich das Leben erleichtern.
Das ist aber nur ein Teil der umfangreichen Modernisierung, die notwendig ist, um die Web3-Technologien praktikabler zu machen. Ethereum – die bisher vorherrschende Blockchain für dezentrale Anwendungen – kann maximal etwa 30 Transaktionen pro Sekunde verarbeiten. Dieser Engpass hat die Transaktionsgebühren in die Höhe getrieben. Ein Großteil des Geldes, das in den letzten Monaten in neue Krypto-Unternehmen geflossen ist, wurde in die Infrastruktur investiert, die für den Aufbau und Betrieb von blockchainbasierten Anwendungen benötigt wird.
Doch diese Entwicklung ist schon seit Jahren in Arbeit. Ethereum wurde vor fast sieben Jahren eingeführt. Als Bitcoin 2018 zum ersten Mal boomte, fingen auch die ersten Web3-Entwicklern an, sich für Kryptowährungen zu interessieren. Nur etwa ein Fünftel davon ist jetzt noch aktiv in diesem Bereich tätig. Heute ist die Zahl der Entwickler fast doppelt so hoch, aber wie viele werden das Vertrauen behalten, wenn ein weiterer Krypto-Winter anbricht?
Die Verzögerungen wären vielleicht weniger schlimm, wenn klarer wäre, wofür Web3 eigentlich gedacht ist. Als Mitte der 1990er-Jahre das World Wide Web entstand, konnte man sich vorstellen, dass zum ersten Mal sämtliche Aktivitäten online stattfinden würden, vom Einkaufen bis zum Filme schauen. Und das war noch bevor überhaupt jemand von riesigen neuen Online-Märkten wie Suchmaschinen und sozialen Netzwerken geträumt hat.
Die Argumente für Web3 beruhen weniger auf dem „Was“ als auf dem „Wie“. Die Dezentralisierung selbst ist verlockend – eine Chance, viele der jetzigen Online-Aktivitäten neu zu gestalten.
Doch der Idealismus wird wahrscheinlich nicht lange anhalten, wenn Online-Nutzer keine konkreten Ergebnisse sehen, abgesehen von unkontrollierten Finanzspekulationen und Memes. Außerdem befindet sich das heutige Krypto-Vermögen in den Händen von relativ wenigen. Daher ist es fraglich, ob das Web3 das Vermögen wirklich gleichmäßiger verteilen wird.
Die finanziellen Bedingungen, die den Krypto-Boom ausgelöst haben, schwinden allmählich, da die Inflation und die Zinsen steigen. Eine ähnliche Situation hat auch zum Ende der Dotcom-Blase geführt und die meisten Start-ups in den Ruin getrieben, obwohl einige bahnbrechende Unternehmen wie Amazon, Yahoo und eBay überlebt haben. Bis jetzt ist schwer zu sagen, wer die Überlebenden des Web3 sein werden.
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